Interview: „Früher mochte ich keine Konflikte“
Wenn wir einen Konflikt haben, möchten wir ihn gerne so schnell wie möglich aus der Welt schaffen – und das am liebsten für immer. Aber, geht das überhaupt? Ich habe mit einer Kundin gesprochen, deren Einstellung zu Konflikten sich im Lauf der Zeit verändert hat.
Sarah, Sie sagen, dass Sie früher keine Konflikte mochten. Und heute mögen Sie sie?
Also, ehrlich gesagt, ich mag Konflikte immer noch nicht so gerne. Aber es wird besser (lacht). Ich sehe inzwischen auch die Chance, die darin liegt. Ein Konflikt ist mittlerweile wie ein Sommergewitter für mich. Ein Gewitter, das die Luft reinigt. Das braucht es manchmal einfach.
Und wie war es früher?
Früher habe ich alles auf mich bezogen, was passiert ist. Da bedeutete ein Konflikt sofort: Ich bin nicht gut genug oder ich bin falsch. Es lag einfach alles an mir. Meistens hatte ich Konflikte mit Menschen, die sehr energisch sind. Ich bin sehr harmoniebedürftig. Aber es wird immer besser: Ich nehme nicht mehr so viel persönlich.
Wie machen Sie das?
Ich habe mich viel mit Persönlichkeits- und Bewusstseinsentwicklung beschäftigt. Dadurch habe ich gelernt, dass jeder in seiner eigenen Welt lebt. Jeder hat seine eigene Landkarte.
Das ist eine wichtige Erkenntnis. Für Menschen, die sich noch nicht damit beschäftigt haben, ist das, was sie wahrnehmen, die einzig gültige Wahrheit.
Ja, ich glaube, wenn ich weiß oder klar habe, dass der andere in seiner eigenen Welt ist, kann ich das, was er sagt oder tut, eher bei ihm belassen und akzeptieren – auch das, was mich stört. Ich muss nicht sofort reagieren, wie ich es tue, wenn ich denke, dass es auf mich bezogen ist.
Trotzdem sagen Sie, dass Sie Konflikte auch heute nicht gerne mögen. Was stört Sie am meisten?
Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass es gar nicht der Konflikt selbst ist, sondern das, was er mit mir macht. Am meisten stört mich, dass ich mich danach richtig schlecht gefühlt habe, früher war das extrem. Ich habe gedacht, dass ich nicht richtig bin, dass ich falsch bin; es ging eine Gedankenspirale los mit viel Selbstkritik. Ich dachte, dass ich mich verändern muss, weil ich nicht gut genug bin. Ich habe ständig auf mir selber rumgehackt, war extrem selbstkritisch, wenn ich einen Konflikt hatte. Das mochte ich gar nicht. Das hat mich sehr beschwert.
Das Schwierige an einem Konflikt war also, dass Sie sich selbst in Frage gestellt haben, wenn der andere gesagt oder gezeigt hat, dass er oder sie mit etwas unzufrieden war? Sie hatten das Gefühl, Sie sind der Grund dafür, dass der andere ärgerlich ist oder laut wird? Sie sind schuld und folglich auch verantwortlich, dass es wieder gut wird?
Ja, genau.
Was ist ein Konflikt für Sie?
Das ist eine gute Frage. Es gibt Unterschiede. Es gibt Meinungsverschiedenheiten, wo man sagt: he, wir werden uns nicht einig, aber ok, jeder darf seine Meinung behalten. Für mich ist ein Konflikt, zum einen, wenn es laut wird, aber das ist kein Muss. Es ist, wenn man merkt, da steht gerade etwas zwischen uns. Gar nicht so einfach zu beschreiben… (überlegt). Ich fühle, da ist eine Distanz. Der eine steht auf der einen Seite des Flusses, der andere auf der anderen, und es gibt keine Brücke, im Moment.
Und dadurch, dass Sie heute nicht mehr so lange grübeln und sich selbst in Frage stellen, können Sie die Unzufriedenheit oder Vorwürfe des anderen eher dort lassen? So nach dem Motto: es ist zu mindestens 50 Prozent auch Anteil des anderen, dass wir gerade durch den Fluss getrennt sind, wie Sie sagen?
Also, wenn Konflikte entstehen, gehe ich schon nochmal in die Selbstreflektion; das finde ich extrem wichtig, nicht alles von sich zu schieben, sondern sich tatsächlich zu hinterfragen. Oder auch zu fragen: wie hätte ich den anderen mehr unterstützen können? Es geht ja viel um Bedürfnisse. Was ist das Bedürfnis vom Gegenüber und wie könnte ich dem entgegenkommen, ohne mich selbst zu vernachlässigen? Was sind meine Bedürfnisse und was ist mein Standpunkt? Ich muss ja nicht den Standpunkt vom anderen übernehmen.
„Ich muss den Standpunkt des anderen ja nicht übernehmen.“
Bei dieser Selbstreflektion stelle ich dann manchmal fest: das hätte ich vielleicht einfach anders sagen oder tun können. Das sehe ich ein, das stimmt, das ist mein Fehler. Wenn ich feststelle, dass ich den anderen verletzt oder seine Bedürfnisse nicht gesehen habe, entschuldige ich mich dafür; trotzdem spielt mittlerweile die Haltung rein: okay, der andere hat halt auch seine Bedürfnisse. Es ist seine Welt und er hat Erwartungen, die ich aber nicht erfüllen muss, wenn ich sie nicht erfüllen will. Ich nehme die Schuld nicht sofort auf mich oder mache mich klein, sondern begegne dem anderen auf Augenhöhe und sage: das ist mein Standpunkt, das ist dein Standpunkt, ich komme dir einen Schritt entgegen, vielleicht auch zwei, wenn ich das vertreten kann, aber mehr möchte ich nicht.
Seinen eigenen Standpunkt zu vertreten, erfordert nicht nur ein Bewusstsein über die unterschiedlichen Welten, in denen wir alle leben, sondern auch Selbstbewusstsein. Im Sinne von: ich bin genau so viel wert wie der andere. Erst dann kann ich auf Augenhöhe sprechen und verhandeln.
Ja, ich denke gerade an zwei Konflikten, die ich in den letzten Jahren hatte, die mir echt nahe gegangen sind; da habe ich viele Zugeständnisse gemacht, weil es mir an Selbstwertgefühl mangelte.
Sie sagen, dass Sie sehr harmoniebedürftig sind und früher Vieles persönlich genommen haben. Hat sich das im Lauf der Zeit auch verändert?
Nein, ich bin immer noch harmoniebedürftig, aber ich gehe jetzt anders damit um. Wenn ich merke, dass etwas in der Luft liegt, versuche ich es direkt anzusprechen, bevor das Fass überläuft. Und es hat sich verändert, wie ich Konflikte betrachte. Früher war ein Konflikt etwas für mich, das ich versucht habe zu vermeiden, weil ich mich danach immer schlecht gefühlt habe und an mir selbst gezweifelt habe. Mittlerweise stelle ich fest, dass es ohne Konflikte gar nicht geht, eben weil wir alle in unterschiedlichen Welten leben und weil ein Konflikt oftmals erst die Möglichkeit schafft, eine Brücke zu bauen, von einer Welt zur anderen.
Können Sie ein Beispiel dafür geben?
Mit meinem Mann erlebe ich das oft. Wir streiten nicht in dem Sinne, dass wir uns anschreien, aber natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten und manchmal liegt auch etwas in der Luft, was unausgesprochen ist. Kürzlich zum Beispiel: Wir kommen aus dem Supermarkt. Er hat eine schwere Tüte und ich hatte auch etwas in der Hand. Er macht den Kofferraum auf, der schon ziemlich voll war. Ich meinte: Stell es doch auf die Rücksitzbank. Das hat schon gereicht. Er: „Dann mach´s doch selber.“ Anschließend saßen wir 20 Minuten schweigend im Auto. Das ist für mich schon ein Konflikt. Dazu muss man wissen: Mein Mann hasst es, mit mir einkaufen zu gehen, selbst im Supermarkt. Wir waren gerade im Ausland, in Dänemark, und ich liebe ausländische Supermärkte; da könnte ich Stunden verbringen. Deswegen war er schon genervt…
Er hat es so empfunden, dass Sie ihm sagen, was er zu tun hat. Sie haben es jedoch nur als Vorschlag verstanden?
Ja, genau, es war einfach nur so – vorausgedacht. Ich dachte, das könnte schief gehen, wenn er es hinten reinstellt. Nun also Schweigen. Ich hätte nun die Möglichkeit gehabt einen richtigen Streit anzufangen. Stattdessen habe ich versucht, erstmal selber klarzukommen, zu reflektieren und von diesen Gedanken wegzukommen: wer war jetzt schuld? Darum geht es ja nicht, sondern: wie können wir das jetzt lösen? Meistens können wir darüber reden. Ich sage dann, wie ich es gemeint habe und dass ich ihn nicht angreifen wollte. Dann erklärt er meistens, warum er so giftig reagiert hat, was dazu geführt hat.
Und wie wäre es früher in solch einer Situation gewesen?
Mein Ego hätte rebelliert, so nach dem Motto: ´Immer dasselbe! Jedes Mal nach dem Einkaufen fühle ich mich schuldig und schlecht, weil wir so lange gebraucht haben. Aber einer muss ja einkaufen! Immer muss ich mich um alles kümmern! Ich habe auch keinen Bock, alleine einkaufen zu gehen! Essen ist ja auch ´was Gemeinsames!´ – Das wäre alles rausgekommen, in Form von Vorwürfen in seine Richtung: „Was pampst du mich so an? Wir müssen einkaufen! Jetzt reiß´ dich mal zusammen!“ Irgendwie so in der Richtung.
Und heute: Was ist der Unterschied? Hatten Sie in der Situation jetzt keine Schuldgefühle mehr oder Ärger? Haben Sie sich nicht mehr gefragt, ob Sie etwas falsch gemacht haben?
Doch diese ganzen Ego-Themen kommen auch heute noch hoch, aber statt sie ungefiltert rauszulassen, war ich erst mal still, weil ich inzwischen weiß, dass das nichts bringt. Stattdessen habe ich versucht, mich in die Situation meines Mannes einzufühlen. Warum er vielleicht so reagiert hat. Dann habe ich mich selbst gefragt, ob ich falsch gehandelt habe und bereit bin mich zu entschuldigen oder ob ich zu meinem Standpunkt stehe ohne zurückzurudern und die Schuldgefühle deshalb von mir weise.
Es geht echt viel um die innere Haltung, um Selbstreflektion, um die eigenen Welten und Bedürfnisse – beim Thema Konflikte spielt so viel mit rein. Ich glaube inzwischen, dass es Konflikte immer geben wird und dass es die auch braucht.
Warum das?
Um diese Verbindung wieder zu schaffen, von der einen Welt zur anderen – von mir zu meinem Mann – um wieder zueinander zu finden. Konflikte zu haben, muss nicht heißen, dass man sich anschreit, das ist ja dann schon eher ein Streit-Konflikt, sondern einfach nur: da treffen zwei Welten aufeinander, und jetzt haben wir verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: pixabay/Michelle RaponiWir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.
– Aristoteles